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Das
junggeglühte Männlein (Originaltext
Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Ausgabe letzter
Hand von 1857, Nr. 147 - vergl. auch Hans Sachs 1562 "Ursprung
der Affen" in "Märchen vor Grimm", ISBN
3-8289-0061-5)
1)
Text
"Zur
Zeit, da unser Herr noch auf Erden ging, kehrte er eines Abends
mit dem heiligen Petrus bei einem Schmied ein und bekam willig
Herberge. Nun geschah‘s, daß ein armer Bettelmann,
von Alter und Gebrechen hart gedrückt, in dieses Haus
kam und vom Schmied Almosen forderte. Des erbarmte sich Petrus
und sprach: »Herr und Meister, so dir‘s gefällt,
heil ihm doch seine Plage, daß er sich selbst sein Brot
möge gewinnen. « Sanftmütig sprach der Herr:
»Schmied, leih mir deine Esse und lege mir Kohlen an,
so will ich den alten kranken Mann zu dieser Zeit verjüngen.«
Der Schmied war ganz bereit, und St. Petrus zog die Bälge,
und als das Kohlenfeuer auffunkte, groß und hoch, nahm
unser Herr das alte Männlein, schob‘s in die Esse,
mitten ins rote Feuer, daß es drin glühte wie ein
Rosenstock, und Gott lobte mit lauter Stimme. Nachdem trat
der Herr zum Löschtrog, zog das glühende Männlein
hinein, daß das Wasser über ihn zusammenschlug,
und nachdem er‘s fein sittig ab- gekühlt, gab er
ihm seinen Segen: siehe, zuhand sprang das Männlein heraus,
zart, gerade, gesund und wie von zwanzig Jahren. Der Schmied,
der eben und genau zugesehen hatte, lud sie alle zum Nachtmahl.
Er hatte aber eine alte, halb blinde bucklichte Schwieger,
die machte sich zum Jüngling hin und forschte ernstlich,
ob ihn das Feuer hart gebrennet habe. Nie sei ihm besser gewesen,
antwortete jener, er habe da in der Glut gesessen wie in einem
kühlen Tau.
Was der Jüngling gesagt hatte, das klang die ganze Nacht
in den Ohren der alten Frau, und als der Herr frühmorgens
die Straße weitergezogen war und dem Schmied wohl gedankt
hatte, meinte dieser, er könnte seine alte Schwieger
auch jung machen, da er fein ordentlich alles mit angesehen
habe und es in seine Kunst schlage. Rief sie deshalb an, ob
sie auch wie ein Mägdlein von achtzehn Jahren in Sprüngen
daher wollte gehen. Sie sprach: »Von ganzem Herzen«,
weil es dem Jüngling auch so sanft angekommen war. Machte
also der Schmied große Glut und stieß die Alte
hinein, die sich hin und wieder bog und grausames Mordgeschrei
anstimmte. »Sitz still, was schreist und hüpfst
du, ich will erst weidlich zublasen.« Zog damit die
Bälge von neuem, bis ihr alle Haderlumpen brannten. Das
alte Weib schrie ohne Ruhe, und der Schmied dachte: »Kunst
geht nicht recht zu«, nahm sie heraus und warf sie in
den Löschtrog. Da schrie sie ganz überlaut, daß
es droben im Haus die Schmiedin und ihre Schnur hörten;
die liefen beide die Stiegen herab und sahen die Alte heulend
und maulend ganz zusammengeschnurrt im Trog liegen, das Angesicht
gerunzelt, gefaltet und ungeschaffen. Darob sich die zwei,
die beide mit Kindern gingen, so entsetzten, daß sie
noch dieselbe Nacht zwei Junge gebaren, die waren nicht wie
Menschen geschaffen, sondern wie Affen, liefen zum Wald hinein;
und von ihnen stammt das Geschlecht der Affen her."
2)
Deutung:
Der
Alte wird verjüngt, weil er das (Schicksals-)
Feuer bejaht, weil er dabei "Gott lobte mit lauter
Stimme". Die alte bucklige (Sinnbild für
das nicht aufrechte = nicht aufrichtige Verhalten) halbblinde
Schwieger (sie hat weder Überblick noch Einsicht)
wehrt sich dagegen, und es geht schief. Sehen wir das "halbblind" noch genauer an: Was hat sie gesehen? Sie hat durch ihren
Buckel nur nach unten, nicht nach oben sehen können,
hat nur die halbe Wirklichkeit, das Irdische, nicht das Himmlische
gesehen.
Dann
könnte man meinen: "Der Schmied ist nun mal nicht der liebe Gott. Es steht ihm nicht zu, einem
anderen Menschen ein Schicksal zu verordnen". Man kann
aber auch darüber nachdenken, ob die Figuren des Märchens
alle in mir selber spielen und für mögliche Seeleneigenschaften
stehen. Wenn der Mensch ehrgeizig durch asketische Willkür
etwas an seinem Gefühlsleben – die Schwieger – zu verbessern sucht, dann trägt das andere Früchte,
als wenn weisheitsvolle Schicksalsmächte die Läuterung
lenken.
Zum
Bild des alten Bettlers: Vielleicht ist der
geistige Anteil in jedem Menschen gemeint, der seine eigne
Armut und Bedürftigkeit erkennt. Vergl. Evangelien: "Selig
sind die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihrer."
Damit ist sicherlich nicht Dummheit gemeint, sondern die Erkenntnis,
daß die göttliche Weisheit über mein Fassungsvermögen
geht. Fortgeschrittene Erkenntnis führt zu der Bescheidenheit
und Demut, die erforderlich sind, damit ich mich für
Höheres öffnen kann. Der
Bettler, ein Mann, steht für das Denken in mir, während
die Schwieger, eine Frau, für das Fühlen in mir
steht. "Geistig arm" sein heißt, daß
man so bescheiden geworden ist, daß man seine Armut
und Unfähigkeit gegenüber dem Himmel wenigstens
ahnt. Mit dem Verstand kann man sich dann sagen, daß
einem das Schicksalsfeuer nützt: "Alles Schwere
und Schmerzhafte, das ich bisher ertragen habe, hat mich klüger
und reifer gemacht, hat mich weitergebracht." Aber mein
Gefühl sträubt sich dagegen, denn es tut weh. Das
kennen wir aus eigener Erfahrung.
"...
als der Herr frühmorgens die Straße weitergezogen
war und dem Schmied wohl gedankt hatte..."
so heißt es im Märchen. Wenn man das Märchen
im Sinne eines Alltagserlebnisses verstünde, so kann
der Herrgott zu Recht dankbar sein, daß der Schmied
ihn zur Nacht aufgenommen hat. Davon, daß der Schmied
eigentlich Anlaß hätte, für den hohen Besuch
zu danken, ist im Märchen nicht die Rede. Vielleicht
ist etwas anderes wichtiger?
Was
ist denn ein Schmied? Der Schmied formt das Eisen,
den irdischsten Stoff, nach seinem Willen, so daß es
zu Arbeitswerkzeugen, Hufeisen oder Waffen wird. Er formt
Hilfsmittel für die praktische irdische Arbeit und den
Kampf. Tagsüber sucht er nicht die Andacht, bittet normalerweise
nicht um Gottes Gnade zum Gelingen seiner Arbeit. Man vergleiche
den Bauern, der sehr wohl auf die Gnade des Himmels, das Wetter,
angewiesen ist beim Säen, Bearbeiten der Felder, Reifen
der Früchte, beim Ernten - und das auch im Bewußtsein
hatte. Der Schmied ist da anders, er baut bei seiner Tagesarbeit
nur auf die eigene Kraft.
In der Nacht aber, wenn der Eigenwille des Schmiedes in uns
ruht, wenn dem irdischen Menschen das Bewußtsein genommen
wird, kehren die göttlichen Kräfte bei ihm ein und
ordnen, was er tagsüber in seinem Inneren in Unordnung
gebracht hat..
"…..Als der Herr…. fortgezogen und dem
Schmied wohl gedankt hatte….." Wieso dankt
Gott dem Menschen? Nun, Gott hat den Menschen freigelassen.
Der Mensch darf sich frei fühlen und eigensinnig handeln
und auch Fehler begehen. Gott wartet lange geduldig, bis der
Mensch die Wiederverbindung mit ihm sucht. Der Schmied hat
die Wieder-Verbindung ( Re-ligion) mit Gott ermöglicht
und ihn zur Nacht beherbergt. Dafür dankt ihm Gott.
Zu
guterletzt zu den Affen, die am Ende geboren
werden und in den Wald hineinlaufen:
Die kostbarste Eigenschaft des Menschen ist seine Bildsamkeit,
seine Entwicklungsfähigkeit. Der Bettler bejaht sein
Schicksal und entwickelt sich weiter. Die alte Schwieger stellt
das Bild festgefahrener Seeleneigenschaften dar. Warum "alt"?
Weil sie das Bild einer alten Seelenkraft ist, die keine Entwicklung
mehr vor sich hat. Sonst wäre im Märchen die Rede
von einem "Kind". Eine alte Kraft also, die nicht
mehr den Weg zwischen die Beine nimmt und Fortschritte macht.
Sie lehnt Zumutungen ab, weil sie sich nicht mehr anstrengen
will. Sie sträubt sich gegen das Feuer, das ihre Verhärtungen
wegbrennen könnte. Sie hält am Alten fest, identifiziert
sich damit und leidet, als es den Verhärtungen an den
Kragen gehen soll. Sie ist wie eine Schlange, die sich nicht
häuten will. Und
so kann keine Weiterentwicklung stattfinden.
Im Anblick dieser Erstarrung bringen die Schmiedin und ihre
Schnur (Schwiegertochter) eben nicht entwicklungsfähige
Kräfte, das heißt Menschenkinder, hervor, sondern
festgelegte Wesen, Tiere, die in gewisser Weise tragische
Karrikaturen des Menschen sind, nämlich Affen.
(Frank
Jentzsch 8.2.2008, 19.8.2008)
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